Tigger

Tigger, (hier mehr Fotos) ein Kater, der 3 Jahre lang in einer Grevener Familie lebte, musste weg, weil (angeblich) das neugeborene Kind Neurodermitis hatte. Als wir diese Familie besuchten, um das Tier kennenzulernen, erzählte uns die Besitzerin völlig selbstverständlich von den angewandten quälerischen Methoden, mit denen sie versucht hatte, ihren Kater zu erziehen. Dass der Kater dadurch einen schweren, möglicherweise irreparablen, Schaden erlitten hat, sollten wir erst später erfahren.
Wir vermittelten ihn im Februar 2004 nach Mönchengladbach, wo es nach kurzer Zeit Probleme gab, da das Tier seiner Besitzerin gegenüber aggressiv wurde. Wir haben viel mit ihr telefoniert und Ratschläge gegeben, doch es half alles nichts. Eines Tages, Ende Juni 2004, kam der Anruf: Tigger hatte seine Besitzerin krankenhausreif gebissen, es waren Muskeln und Sehnen beschädigt worden. Eine Basis für ein Zusammenleben war dort nicht mehr vorhanden und so machte ich mich auf nach Mönchengladbach, um Tigger zu mir zu holen, in der Hoffnung ihn therapieren zu können. Direkt einen Tag später wurde Kirsten Afhüppe, unsere Tierpsychologin über diesen Fall informiert, die sofort einen Therapieplan entwarf. Dass Tigger ein harter Brocken war, bekam ich direkt zu spüren: in den ersten 10 Tagen unseres Zusammenlebens fügte Tigger mir 3x ohne ersichtlichen Grund ernsthafte Verletzungen zu. Schlimmer war jedoch die seelische Wunde, da wir befürchteten, das Tier sei nicht mehr therapierbar. Man wird trotz aller Bemühungen das Gefühl nicht los, ganz fürchterlich versagt zu haben und ich habe nach all den Jahren Tierschutzarbeit das erste Mal ernsthaft darüber nachgedacht, ein Tier aufgrund seines Verhaltens euthanasieren zu lassen. Heike, unser Mitglied aus Cuxhaven, zu der ich regelmäßigen Kontakt habe, erklärte sich spontan bereit, Tigger bei sich eine Chance zu geben. Sie und ihr Mann haben ein riesiges Grundstück, wo Tigger nach einer Eingewöhnungszeit draußen hätte leben können. Er wäre bestens versorgt worden, hätte aber nach eigenem Ermessen kommen und gehen können. Da er ein so nachhaltig gestörtes Verhältnis zu Menschen zu haben schien, glaubten wir, dass dieses eine reelle Chance für ihn sei und nahmen Heikes Angebot dankbar an.
Da Heike verständlicherweise kein krankes Tier in ihren Bestand integrieren möchte, ließen wir Tiggers Blut untersuchen, um evtl. vorliegende Krankheiten erkennen zu können. Darüber hatten wir sowieso schon nachgedacht, weil es ja auch hätte sein können, dass er wegen eventueller Schmerzen aggressiv war. Es dauerte einige Tage, bis alle Ergebnisse vorlagen und sie waren durchaus erfreulich: Tigger ist organisch völlig gesund. In diesen Tagen jedoch machte Tigger eine Wandlung durch, die auch auf eine spezielle Behandlung durch Kirsten beruhte. Er war nicht mehr aggressiv, wurde zutraulich und ließ sich sogar von mir gern streicheln. Natürlich schöpfte ich neue Hoffnung und gab in Cuxhaven Entwarnung. Nach und nach wurde nun tatsächlich aus Tigger ein durchaus liebenswertes Kerlchen. Wir beide waren ein richtig gutes Team geworden und der Kater hat im Sturm mein Herz erobert. Tigger lässt sich streicheln, herumtragen, schläft mit im Bett und nichts erinnert mehr an seine alten Zeiten.
Ganz zufrieden war ich mit seinem Zustand jedoch noch immer nicht. Er wirkte oft sehr ruhelos und unzufrieden. Aufgrund bestimmter Symptome waren Kirsten und ich zu der Erkenntnis gelangt, dass eine neurologische Störung bei Tigger vorliegen könnte, was auch durch die behandelnde Tierärztin, Dr. Eva Cordes, bestätigt wurde. Ein Telefonat mit dem Chef der Grevener Tierklinik, Martin Theben, brachte ein weiteres Fünkchen Hoffnung. Er hatte sich mit Tiggers Krankengeschichte beschäftigt und hielt aufgrund der Symptome eine innenliegende Mittelohrentzündung für möglich. Also ließen wir Tiggers Kopf röntgen und wurden wieder enttäuscht, weil auch diese Untersuchung ohne Befund blieb.
Mittlerweile war die Situation bei mir Zuhause überaus angespannt, da Tigger dazu übergegangen war, meine beiden eigenen rangniedrigen Kater Joey und Weißöhrchen zu drangsalieren. Weißöhrchen musste aufgrund einer schweren Bissverletzung 2x in der Tierklinik behandelt werden und Joey zeigte psychische und physische Stresssymptome, zog sich immer mehr zurück und war stets sehr angespannt. Ich selber musste ständig mehr oder weniger hilflos mit zusehen, wie es zu Übergriffen von Tigger auf schwächere Tiere kam. Wann immer möglich, ging ich dazwischen, habe Tigger zu Boden gedrückt und ihn angebrüllt, was ihn auch immer sehr beeindruckt hat. Leider hat das nie lange angedauert und irgendwann lagen meine Nerven blank.

Eines Morgens, als ich mich wieder in einen Streit zwischen Tigger und Joey einmischen musste, bekam ich Tigger nicht richtig zu fassen und er biss mich kräftig ins Handgelenk. Nur 4 Stunden später trug ich den rechten Arm in Gips und musste wegen der schweren Infektion heftige Medikamente nehmen. Insgesamt hatte ich 10 Tage mit den Folgen dieser Verletzung zu kämpfen.
Am Abend dieses Vorfalles rief ich in der Tierklinik an und erkundigte mich nach der Möglichkeit, Tiggers Reißzähne operativ entfernen zu lassen. Normalerweise wird dies natürlich von seriösen Tierärzten nicht gemacht und ich wurde auch darauf hingewiesen, dass ein solcher Eingriff ethische Probleme birgt. Da jedoch auch Dr. Cordes und Herr Theben Tigger als Extremfall einstuften, stimmten sie diesem Eingriff zu. Wir vereinbarten, diesen Eingriff am Donnerstag vor Ostern durchführen zu lassen, sodass ich über die Osterfeiertage tröstend für Tigger hätte da sein können.
Tiggers Verhalten nach dem Beißvorfall (der, das möchte ich ausdrücklich betonen, nicht gezielt gegen mich gerichtet war, sondern eine Folge meines Einmischens in den Streit!) änderte sich grundlegend. Es schien, als habe er ein schlechtes Gewissen und wisse genau, dass er diesmal zu weit gegangen war. Er überschüttete mich mit seinen Zärtlichkeiten, kam ständig auf meinen Schoß und wollte schmusen. Er überschlug sich förmlich vor Liebenswürdigkeit, auch den anderen Tieren gegenüber. Also sagte ich die OP zunächst ab.
Da es unsere Philosophie ist, immer offen und ehrlich mit Informationen zu sein, wussten alle aktiven Mitglieder Bescheid und die Möglichkeit, Tigger zu „entwaffnen“ rief unterschiedliche Reaktionen hervor.
Und auch hier war es wieder Heike Gödde, die den entscheidenden Tipp gab. Sie empfahl mir ein Medikament mit dem Wirkstoff Clomipramin, welches an Hunden bereits erfolgreich erprobt ist. Für Katzen ist es offiziell noch nicht erprobt und auch nicht zugelassen. In Tierschutzkreisen allerdings gibt es bereits einige erfolgreiche Therapien an Katzen. Heike selber therapierte ein eigenes Tier aus ihrem Bestand mit Clomicalm und war über den Erfolg sehr zufrieden. Frau Dr. Cordes fand den Vorschlag ebenfalls gut und so begannen wir, Tigger mit dem Psychopharmaka Clomicalm zu behandeln. Minimale Therapiedauer sind 3 Monate, wobei es durchaus Tiere gibt, die dieses Psychopharmaka lebenslänglich nehmen müssen. Seit dem 07.04.05 bekommt nun Tigger dieses Medikament und die erwünschte Wirkung wurde insofern prompt erzielt, als dass in meinem Rudel nun Ruhe herrscht. Tigger lässt die anderen in Ruhe und mein Joey hat wieder zu seiner alten Lebensfreude zurück gefunden. Was jedoch meine Freude darüber anfangs erheblich getrübt hat, war Tiggers Zustand. Das Kerlchen war völlig lethargisch geworden, er spielte nicht mehr, schmuste nicht mehr, war in sich gekehrt und teilweise fast apathisch. Mit Wirkung vom 27.04.05 hatte ich seine tägliche Dosis Clomicalm halbiert und hoffte, dass nun auch Tigger wieder etwas mehr zu seiner alten Form zurück finden würde. Das tat er auch – in Form von erneuten Aggressionen und Übergriffen gegenüber den anderen Tieren. Mir blieb also keine Wahl als wieder zu der Ausgangsdosis zurück zu kehren, die offensichtlich von der behandelnden Tierärztin genau richtig eingeschätzt worden war.
Nach einiger Zeit jedoch schien Tigger mit dem Medikament besser klar zu kommen. Mittlerweile nahm er wieder teil, er interessierte sich wieder für sein Umfeld, kam zum Schmusen auf den Schoß, schlief wieder mit im Bett und das alles in friedlichem Einklang mit dem restlichen Rudel.
Als die empfohlene Therapiedauer von 3 Monaten vorüber war, habe ich das Clomicalm langsam abgesetzt, um zu sehen, ob und wie er darauf reagiert. Fast erstaunt nahm ich zur Kenntnis, dass sich an seiner Liebenswürdigkeit nichts änderte. Er war nach wie vor sehr freundlich zu den anderen Katzen. Mir gegenüber änderte er sein Verhalten insofern, als dass er fast aufdringlich geworden ist. Er folgt mir auf Schritt und Tritt, ist anschmiegsam und sehr zärtlich. Er liebt es, lang ausgestreckt auf meinem Schoß zu liegen und sich streicheln zu lassen.

Eine Woche nach dem Absetzen des Clomicalms gewöhnte Tigger sich dann leider eine andere, nicht weniger störende Unart an: er markierte was das Zeug hielt. Ich konnte in seinem Handeln kein System erkennen, außer die Vermutung, dass er wieder extreme Chefallüren bekam. Dummerweise war er dazu übergegangen, auch mich zu markieren. Als es 3 Wochen nach dem Absetzen des Clomicalms wieder zu Übergriffen auf die anderen Tieres meines Rudels kam, zögerte ich nicht mehr und verabreichte Tigger wieder das Clomicalm. Bislang gebe ich ihm nur die halbe Dosis und hoffe, dass er vielleicht damit nun auch dauerhaft zurecht kommen wird.

Greven, 02.08.05
Anja Vogt

Nachtrag Sommer 2011 = Aus Tigger ist ein super verschmuster anhänglicher Kater geworden. Allerdings ist er auch sensibel und extrem auf mich fixiert. Das ist einerseits niedlich und rührend, andererseits macht dies aber eine Betreuung durch Dritte schwierig. Wann immer möglich, nehme ich Tigger mit in den Urlaub, z.B. wenn wir nach Holland ans Meer fahren. Tigger neigt – wie das bei sensiblen Tieren öfter vorkommt – dazu, Harnsteine zu bilden. Er darf nun nur noch ein bestimmtes Diätfutter fressen. In meiner Katzenfamilie hat er sich prima eingefügt und es herrscht eine friedliche Harmonie.

Nachtrag Herbst 2016 = Tigger wird immer anhänglicher. Leider ist er seit dem letzten Jahr chronisch krank. Sicherlich verursacht durch den Stress, den eine äußerst streitsüchtige Pflegekatze in das Rudel gebracht hat, ist Tigger krank geworden. Er hat eine Schilddrüsenüberfunktion, für die er seit 1,5 Jahren ein Medikament nehmen muss. Bis jetzt ist es noch nicht gelungen, die für ihn optimale Tagesdosis ausfindig zu machen. Die eigentlich erforderlichen regelmäßigen Blutuntersuchungen dazu strecken wir möglichst in die Länge, da Tigger dafür jedes Mal sediert werden muss. Außerdem sind seine Nierenwerte schlechter geworden. Hinzu kommt, dass er regelmäßig Bauchspeicheldrüsenentzündungen hat und sein Futter ständig erbricht. Er wiegt nur noch 3.8 KG (was für diesen großen Kater zu wenig ist!) und es ist auch mit dem Futter ein ständiges Jonglieren zwischen Schonkost und Nierendiät. Da Tigger sich die Medikamente nur von mir geben lässt, ist es mir unmöglich geworden, länger als 3 Tage ohne Tigger zu verreisen. So lange Tigger lebt (was hoffentlich noch einige Jahre sein werden) kommen also nur noch Urlaubsziele in Frage, die mit dem Auto zu erreichen sind und eine Ferienwohnung, in die er mit darf.

07.11.16
Anja Kröger

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